Neun Autorinnen und Autoren lasen im Studio 93 in Köttingen
Die Schuhsohle wird zur schwarzen Wand
VON BERND WOIDTKE – Kölner Stadt-Anzeiger vom 27. Februar 2023
Erftstadt-Köttingen. 30 Jahre junge Kultur für alle Generationen“ – so wirbt der Verein Szene 93 aus Erftstadt. Zu Recht, wie die Lesung im Studio 93 in Köttingen bewies. Neun Autoren aller Altersgruppen, sechs Frauen, drei Männer, setzten sich mit ihren Texten einem wohlwollenden Publikum aus.
Zunächst beginnt es mit einer makabren Geschichte von Marie Görgen, deren Titel die Dramatik des Geschehens andeutet: „Tod und Nussschokolade“. Gut geschrieben, gut gelesen, allerdings fern von Politik und Gesellschaft. Die Erzählung von Marianne Brucker-Meisel hingegen greift die aktuelle Flüchtlingsproblematik auf: Jusuf, ein junger Mann aus dem Jemen, verletzt im Bürgerkrieg, macht sich auf den Weg zum seinem Sehnsuchtsland: Deutschland. Ergreifend. Aktuell.
Jana Jorde hat sich eines historischen Plots angenommen: Hans Hermann von Katte war ein Jugendfreund des Kronprinzen Friedrich, des späteren Friedrich II. Friedrich wollte eigentlich im Streit mit seinem strengen Vater, Friedrich Wilhelm I., nach Frankreich fliehen, vergebens. Katte unterstützte ihn, wurde verhaftet und auf Anordnung des Königs hingerichtet. Jana Jorde vermochte es, diese tragische Begebenheit mit stilsicheren Blitzlichtmomenten zu erhellen, ihr gestisch und mimisch ausgefeilter Vortrag fesselte. Ihre Erzählung wurde abgerundet mit einem Flötenrondo, komponiert von: Friedrich II. Walter Dreser und Sandra Ulbrich setzten sich auf sehr verschiedene Weise mit dem Tod auseinander. Dreser berichtet einfühlsam von einer alten Ehe, in der der Ehemann an die Demenz verloren geht. In Ulbrichs Plot dominiert ein Influencer, der mit extrem morbiden Videos den Erfolg sucht. Der Tod spielt auch im Kriminalfall „Das Wachsmalbild“ von Carina Küffner eine Rolle, eine Familie als Wimmelbild von Wahrnehmung und Nicht-Wahrnehmung. In Bernhard Hermanns Kurzgeschichte „Ein Tag im Sommer“ steht Bobby im Vordergrund, eine Ameise. Sie wird Opfer einer riesigen schwarzen Wand, die auf sie einstürzt – in Wirklichkeit die Schuhsohle des Erzählers. Makaber. Originell.
Doris Brenner bringt die Zuhörer wieder dicht an die Realität, diesmal aber nicht mit Tod und Verbergen verdunkelt, sondern erhellt von Geistheilern, inneren Rückgratsuchern und zwei esoterikbesoffenen Workshop-Leitern namens Luna und Ilias. Die Ich-Erzählerin will schon nach der Begrüßung im Workshop das Weite suchen, dann aber kommen ihr quasi irdische Mächte zu Hilfe. Schauspielerisch mitreißend vorgetragen, der Lacherfolg des Abends.
Die Abteilung Fantasy bediente höchst skurril und originell Florian Winters: Tesla trifft auf Vampire in der Eifel. Wer da gewonnen hat, ist wohl klar, oder? Der Autofahrer ist jedenfalls inzwischen auf die Bahn umgestiegen.