Erben oder sterben
Erftstadt Anzeiger vom 10.9.2014. Von Claudia Scheel.
Mit dem Stück „Erbschaft in Aussicht“ beschritt das Ensemble von Szene 93 ganz neue Wege der Bühnenkunst: geboten wurde ein von Anette Dewitz als Live-Hörspiel bearbeiteter Comedy-Thriller mit
schrägen Charakteren und überraschenden Wendungen. Das szenische Hör-Erlebnis, dem zugesehen werden kann und soll, feierte umjubelte Premiere in der Kleinen Bühne in Liblar.
Erftstadt-Liblar (cs). Monument House, eine alte Villa irgendwo in England, ist Stammsitz der höchst sonderbaren, über Gesetz und Ordnung stehenden Familie Henk: Dora fügt dem Portwein gerne
giftige Substanzen zu, Marcus wiederum hält sich für Julius Cäsar. Lucian mischt Chemikalien
in einem dubiosen Labor, Oliver verbringt die Tage angekettet im Keller. Auch Monica und Eric sind überaus undurchsichtige Gestalten. Nach dem Tod des Patriarchen Septimus Henk entbrennt um dessen beträchtliches Vermögen ein mörderischer Kampf, bei dem neben den Geschwistern Henk auch eine großzügig im Testament bedachte Schriftstellerin, deren Sekretär Perry Potter, Familienanwalt Pennworthy, die Haushälterin sowie Krankenschwester Ann mitmischen…
„Erbschaft in Aussicht“, die bereits 46. Produktion der Schauspielgruppe des Jugendkulturvereins
Szene 93, feierte gleich in zweifacher Hinsicht Premiere: Erstmals wurde ein zum Live-Hörspiel umgeschriebenes Bühnenstück als szenische Lesung inszeniert. Das Motto der diesjährigen
Erftstädter Kulturzeit – „Sinnliches“ – hatte, so Philipp Wasmund von Szene 93, das
Ensemble auf die Idee zu dieser neuen Form der Bühnenkunst gebracht: „Was schließlich
kann sinnlicher sein als Kino für die Ohren?“ Umgesetzt wurde das Projekt von Anette Dewitz, die im
Hörspiel auch die Rolle der geheimnisvollen Haushälterin übernahm. Witzig, spannend und ein wenig skurril sollte die Handlung sein – so fiel die Wahl auf diese Krimikomödie. Stark gekürzt und in einigen Bereichen hörspieltauglich bearbeitet, bot diese die Vorlage für das neue Szene 93-Stück.
„Ich finde es faszinierend, wie durch rein akustische Informationen im Kopf des Zuhörers ein komplettes Bild aufgebaut wird“, beschrieb Anette Dewitz den Reiz eines Live-Hörspiels, „hier stehen zwar Stimmen und Geräusche im Vordergrund, für das Publikum gibt es dennoch viel zu sehen. Es ist beinahe wie ein Blick hinter die Kulissen, wie ein Eindruck von der Arbeit in einem Tonstudio.“ Ohne Zögern hätten
sich die Schauspieler und Schauspielerinnen auf die Herausforderung eingelassen, einmal ganz „ohne Körpereinsatz“ zu spielen: „Beim Proben merkten wir schnell, wie viel Spaß die Sache macht.“ Diese
Spielfreude war den zehn Akteuren, die mit ihren Rollen nahezu verschmolzen und das Publikum allein durch Stimmen und Gebärden auf eine ebenso mitreißende wie kurzweilige Mörderjagd entführten,
auch deutlich anzumerken. Den zuschauenden Zuhörern – oder zuhörenden Zuschauern – blieb viel Raum für eigene Phantasien innerhalb einer Rahmenhandlung, die bis zur überraschenden Auflösung
zu fesseln vermochte.