Szene 93 Zwischen Ernst und Komik
Von Ruth Lütz-Bedorf – Kölner Stadt-Anzeiger
Erftstadt-Liblar – Sie verstehen sich als Verein zur Förderung kultureller Jugendarbeit, die Mitglieder des Ensembles Szene 93. Perfekt passt in dieses Konzept ihre neueste Theaterproduktion, Peter Ustinovs „Beethovens Zehnte“. Das Stück lässt, mit ernsten und komischen Elementen spielend, den vor fast 200 Jahren verstorbenen Musiktitan aus dem Jenseits geradewegs in die Familie Winter hineinplatzen.
Mit viel Beifall wurde am Samstagabend die Premiere in der Kleinen Bühne in Liblar gefeiert. Regie führt Julia Nolte, mit diesem Projekt auch eingebunden in ein „freiwilliges soziales Jahr Kultur“, das die 20-Jährige am Bonner Beethovenhaus absolviert. Eine Vorstellung im dortigen Kammermusiksaal wird den Aufführungsreigen krönen.
Stephen Winter – gescheiterter Komponist – ist Musikkritiker, er hält sich für den größten. Zur Zeit arbeitet er an einem Buch über „Beethovens Zehnte“ – eine Spekulation über die Frage, wie diese nie geschriebene Sinfonie aussehen könnte. Stephan Nichtweiß zeigt die ganze Unsicherheit dieses Menschen, dessen Gefühle zwischen Überheblichkeit, Angst und unausgesprochener Liebe schwanken.
Ehefrau Jessica (Sandra Fischer), einst Sängerin, geht völlig in der Rolle als Ehefrau und Mutter des inzwischen 22-jährigen Pascal (Philipp Wasmund) auf. Der hat immerhin vier Sinfonien komponiert, von seinem Vater erntet er jedoch nur Verachtung: „Deine Musik verdient meinen Zorn nicht. Sie ist zu banal.“ Scheinbar gleichmütig, mit heruntergezogenen Schultern und sprechender Mimik lässt Wasmund die Schmerzen dieses Jungen erahnen.
Doch da gibt es noch Irmgard, das muntere österreichische Au-pair-Mädchen (Miriam Berger). Charmant und burschikos hält sie dem nörgelnden Vater den Spiegel vor: „Er ist geistig zu jung, um zu wissen, wie man Vater wird.“ Irmgard ist es auch, die dank übersinnlicher Gaben das Erscheinen des verblichenen Musikers bewirkt.
Im schwarzen Gehrock – die graue Perücke sitzt immer ein bisschen schief – wird Ingo Rehlings Beethoven mit ausgeprägter Sinnenfreude und ebensolcher Grobheit dem überlieferten Bild des Musikers gerecht.
Ein Kunstgriff muss dem ehemals Tauben die Hörfähigkeit vermitteln. In einer äußerst komischen Szene verpassen ihm Stephen und der Ohrenarzt Dr. Jagger (Sascha Mohme, später auch ein Priester) ein Hörgerät. Zum Kabinettstückchen gerät Rehling sodann die Begegnung des Komponisten mit seinen noch nie gehörten Werken – die noch dazu von einer Schallplatte ertönen.
Als schließlich mit Guiletta Giucardi und Liesa Flehberger (in Doppelrollen: Sandra Fischer und Miriam Berger) zwei wirkliche oder vermeintliche Geliebte Beethovens auftauchen, geraten die Zeitebenen vollends durcheinander – und Beethoven entschwindet. Zurück lässt er eine gewandelte Familie, die sich endlich wieder nähergekommen ist.
Am Sonntag, 23. August, 18 Uhr, ist das Stück noch einmal in der Kleinen Bühne zu sehen.
Den Maestro vom Sockel geholt
Das Ensemble „Szene 93“ spielt „Beethovens Zehnte“ von Peter Ustinov
Von H.D. Terschüren. Bonner Rundschau. 24.8.2009
Bonn. Im Bonner Beethoven-Haus sind die Experten vermutlich kurz zusammengezuckt. Das hätte ihnen gerade noch gefehlt. Der von Geisterbeschwörer Peter Ustinov besuchsweise in die Gegenwart geholte Komponist war Montag nahe dran, das Geheimnis seiner „unsterblichen Geliebten“ zu lockern, das mehr romantische Gemüter an sein Grab (und eben ins Geburtshaus) lockt als Freudenchor und alle Sinfonien zusammen. Auch mit dem Titel „Beethovens Zehnte“ pfuschte Stückeschreiber Sir Peter dem geballten Sachverstand des Hauses ins Handwerk. Natürlich lustiger Weise, wie zumindest er glaubte.
Da klopft also eines Abends Beethoven mächtig an die Tür, als der sauertöpfische Musiker-Wissenschaftler Winter (was erwartet man?) sich an einem tiefschürfenden Essay über die nicht geschriebene zehnte Sinfonie die Finger wund schreibt. Außerdem versucht er gerade, Harmonie in seiner kleinen Familie zu stiften. Als da sind Frau, Sohn, und Au-Pair-Mädchen- übrigens das erste Au-Pair-Mädchen, wir sind sicher, das jemals über dem Tresor mit dem Allerheiligsten sein Röckchen äußerst ansehnlich liftete. Die Zensur hat das wahrscheinlich nur passiert, weil sich bei Peter Ustinov keiner so daran erbaute wie der große Komponist selbst. Nur am Essen zeigt er ähnlich viel Freude. Ustinov holt ihn also vom Sockel.
Im Beethoven-Haus hat die Truppe „Szene 93“ aus dem Erftkreis die ganz unernst gemeinte Nestbeschmutzung von 1983 aufgeführt. Sie fällt nicht auseinander, sondern setzt sich locker zusammen aus Beethovenverehrung und Familienklamotte. Ein HNO-Arzt verpasst dem Meister ein modernes Hörgerät, so dass er zum ersten Mal seine Musik eher mürrisch akustisch wahrnimmt. Das Hübsche an Ustinov ist,dass er auf keinem Niveau verlieren kann. Und es war tatsächlich nicht das Schlechteste, was die junge Julia Nolte – sie hat ihr soziales Jahr im Beethoven-Haus beendet- als ihre erste Regiearbeit vorzeigte. Auch wegen ihrer jungen Darsteller Miriam Berger und Philipp Wasmund – sie kess, er schlaksig- liefen die kleinen Szenen flott und unterhaltsam und auch technisch geschickt zwischen den paar Sitzgelegenheiten. Der Flügel steht immer da. Die Musik kam vom Band. Kammermusiksaal; Bonngasse 20; am 29. August, 20 Uhr, gibt es eine weitere Aufführung. Karten an der Abendkasse.
Der Dirigent spielt den Therapeuten
Szene 93 inszeniert Beethovens Zehnte
Von Barbara Pikullik. General-Anzeiger. 31.8.2009.
Es hämmert an der Haustür. „Mein Name ist van Beethoven.“ Da steht er. Da ist er. Herbeigerufen durch die telepathischen Kräfte eines Au-Pair-Mädchens im Hause Winter, in dem da leben: der gescheiterte Musikkritiker Stephen Winter (Stephan Nichtweiß), seine Frau(Sandra Fischer), sein Sohn Pascal, gescheiterter Komponist (Philipp Wasmund).Das Au-Pair-Mädchen Irmgard (Miriam Berger) behält, wie bei Molière die Hausangestellten,bei allen Konflikten den Überblick und interveniert. Theater im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses. Zu erleben war eine Aufführung von Peter Ustinovs Zweiakter „Beethovens Zehnte“ durch das sich aus Laien zusammengesetzte Erftstädter „Ensemble93“. Regie führte Julia Nolte. Kaum die Hälfte der Plätze war belegt in dem Saal, in dem sich ein Szenario sondergleichen abspielte: Beethoven als Streitschlichter, ja als Familientherapeut. Zunächst tritt der Musik-Titan in allzu überlieferter Manier auf: derb und ungehobelt.Auch er hat Welten zu überwinden und hört, nach dem Einsetzten eines Hörgeräts, erstmals seine eigene Musik – via Plattenspieler. Beethoven entschwindet am Ende und hinterlässt eineFamilie, die ihre Konflikte in den Griff bekommen hat.